Erstellt mit MAGIXReiseberichtZwischen Fort St. Jean und Marseille St.-Charles [10. Juni 2019]Es ist Pfingstmontag - eigentlich ein Feiertag. Aber wir haben nicht den Eindruck: Verkehr wie am Sonntag, die Müllabfuhr istunterwegs und gegenüber im Lost Place Haus hören wir die Sanierungsgeräte. Na dann sollte es heute Nachmittag mit demEinkaufen kein Problem sein. Später stellte sich heraus, dass auf sämtlichen Baustellen rund um den Alten Hafen gebaut wurde.Eigentlich hatten wir vor, heute gemeinsam mit Julia das MuCEM zu besuchen. Doch nachdem heute Morgen eineMotorradkolonne mit viel TamTam und Hupen durch "unsere" enge Straße fuhr, war es aus. Am liebsten wäre sie gleich zuhausegeblieben. Nun war die Laune so mies wie sonst auch bei Ausflügen. Kein Interesse an den Booten, keins an den Fischern, dieihren Fang verkauften, kein Interesse an den Ständen mit der hiesigen Seife. So verzichteten wir auf Eintrittskarten für dasMuseum und freuten uns, dass wir gestern schon mal ohne einen launischen Teenager hier gewesen sind. Wir schafften eineRunde durch den "Garten der Migrationen", einen mediterran angelegten Garten. Danach habe ich sie zurück zur Ferienwohnungbegleitet und dort abgeliefert.Bertram blieb neben dem Rathaus im Schatten sitzen, bis ich zurückkehrte. Das Rathaus wurde zwischen 1653 und 1670 im Stilder Genueser Villen erbaut. Es besteht aus rosa Steinen wie so viele Gebäude, die während des Ancien Régimes in marseillegebaut wurden. Auf der Fassade kann man sogar die Büste Ludwigs des XIV erkennen, Symbol der königlichen Macht. EineBesonderheit war, dass sich im Erdgeschoss des Gebäudes früher die Händler der Stadt versammelten, während der Magistrat imersten Stock tagte. Heute haben in dem historischen Gebäude nur noch die Büros des Bürgermeisters ihren Sitz. Seit 1948 stehtdas Gebäude unter Denkmalschutz.Ich nahm die Abkürzung mit der Fähre über das Hafenbecken. Wir liefen nun durch die Viertel oberhalb des Alten Hafens bis zumBahnhof Marseille-St.-Charles, wo wir vor zwei Tagen an-gekommen sind. Die Strecke führte uns auch durch das Panier-Viertelund seine typischen Häuserblöcke - 5 Etagen hoch mit genauso hohen Räumen wie unsere Ferienwohnung, den Außen-Fensterläden, den dunklen Fassaden - Schmutz aus zwei Jahrhunderten und der zwischen den Fenstern aufgehängten Wäsche.Die Häuser hier stammen überwiegend aus dem 18. Jahrhundert, manche sogar aus dem 16./17. Jahrhundert. Kurz vor demBahnhof befindet sich das Libanesische Viertel. Wir fühlten uns hier ein bisschen wie auf unserer Afrika-Reise 2002.Der Bahnhof Marseille-St.-Charles wurde 1849 erbaut und ist allein wegen seiner gusseisernen Baukunstund den prunkvollen Treppen im Stil des Zweiten Kaiserreichs einen Besuch wert. Er war einst einewichtige Zwischenstation für Schiffsreisende aus dem Norden nach Afrika bzw. in den arabischen Raum.Damals lag der Bahnhof isoliert in hoher Lage über der Stadt, weshalb 1926 die monumentaleTreppenanlage zur Stadt hin gebaut wurde. Die Freitreppe wird geschmückt von Skulpturen, welche sichauf die französischen Kolonien in Afrika und Asien beziehen. Ab den 1990er Jahren wurde der gesamteBahnhof umgestaltet, dabei entstand 2007 eine komplett neue, großflächige Halle nördlich des Altbaus -die Halle Honnorat. In dieser ist unter anderem der Busbahnhof Marseille untergebracht. Hier erkundigtenwir uns, wo wir ein Frühstück bekommen können, denn am Samstag werden wir ohne Frühstück dieFerienwohnung verlassen.Auf dem Weg zurück zum Hafen versuchten wir, die verkehrsreiche Canebière, die uns vom Samstagbekannte Haupteinkaufsstraße von Marseille, zu meiden. Und tatsächlich. Wir erreichten dasgeschäftstüchtige Viertel Noailles - ein Viertel der kleinen Leute, in dem heute auch viele Einwanderer ausdem Maghreb, aus Schwarzafrika und den Komoren eine Heimat haben. Der Markt, der nach der Zerstörung desKapuzinerklosters im Zuge der Französischen Revolution entstand, bildet bis heute den lebendigen Mittelpunkt des Viertels. Dasbunte Markttreiben setzt sich in den Gassen südlich des Marktes fort - mit Gemüse- und Obsthändlern, Bäckern, die vor Ort Brotaus Ägypten, dem Libanon, Indien und gefüllte Pfannkuchen backen, offenen Säcken mit Gewürzen und getrockneten Bohnen ausaller Welt, Luffaschwämmen, die im Wind gaukeln, einer schier unglaublichen Auswahl an Oliven verschiedenster Sorten undZubereitungen, und winzigen Läden, in denen sich die Waren bis hoch unter die Decke stapeln. Hier erinnerten wir uns an dieSuqs von Damaskus und Aleppo. Auf einem Obst- und Gemüsemarkt kauften wir saftige Tomaten mit Geschmack undPlattpfirsische - davon können wir in Deutschlands Märkten nur träumen. Nun noch flott zum Spar den Rest besorgen und heim. Nach der gestrigen 10 km-Tour und den heutigen 10 km Fußmarschbekomme ich Schmerzen im linken Fuß. Überanstrengung? Am Abend stand Erholung an; schließlich müssen wir für die morgigeTour fit sein.Frioul - Inseln [11. Juni 2019]Heute hieß es früh aufstehen. 6 Uhr klingelte der Wecker. Nach einem kurzen Frühstück liefen wir hinunter zum Landungspier derFähren nach Frioul. Unsere Fähre würde um 7:40 Uhr ablegen; die Kassen öffneten erst gegen 8:30 Uhr. So mussten wir zunächstauf die Ankunft der Fähre warten. Das bisschen sorgte dafür, dass die Laune unseres Teenagers abermals in den Keller sank. DasTicket kauften wir anschließend beim Kapitän auf dem Schiff. Bis auf vier Einheimische (Inselbewohner) waren wir die einzigenGäste an Bord. Und genau das war unser Ziel mit der frühen Fahrt: Wir wollten noch vor dem Touristenansturm die einmaligeLandschaft genießen. Unser Plan ging auf: Gegen 8 Uhr erreichten wir den Frioul-Archipel mit seinen vier Inseln Pomègues imSüden, Ratonneau im Norden, Île d'If im Osten der beiden Hauptinseln und Tiboulen im Westen von Ratonneau, die kleinste derInseln. Die Gefängnisinsel d'If passierten wir während unserer Bootsfahrt. Sie wirkt vom Wasser aus ziemlich klein, nicht somonströs wie ich sie mir vorgestellt hatte. Das Wetter war heute nicht das Beste. 16° und leichter Regen. Aber es warauszuhalten. Als einzigartige Besonderheit ist der Frioul-Archipel fester Bestandteil des Nationalparks Calanques und wird daher durch diebesonderen Vorschriften für diesen Park geschützt. Die Inseln bieten mehr als 99 Seevogelarten Unterschlupf sowie mehr als 300seltene und ge-schützte Pflanzenarten. Sie dienten einst als Zwischenstopp für die kriegerischen und abenteuerlustigen Seefahrerdes Mittelmeerraums. Später wurden sie als Quarantäne-Ankerplatz für Schiffe genutzt, um die Stadt vor Epidemien zu schützen. Wir landeten im Hafen der Insel Ratonneau, Port Frioul, an. Unsere Tour begann aber auf der 2,7 km langen und 400 m breitensüdlichen Insel Pomègues, die durch den Damm Digue de Berry (benannt nach des Duc de Berry ) mit der nördlichen, 2,5 kmlangen Insel Ratonneau verbunden ist. Der Deich wurde in den Jahren 1822 bis 1824 erbaut. Anlass für die Konstrukti-on war eineum 1820 in den am Mittelmeer gelegenen Städten ausgebrochene Gelbfieberepi-demie. Von dieser bis dahin unbekanntenKrankheit war auch die Handelsstadt Marseille be-troffen. Der Damm, eine Art Bollwerk, sollte die Gefahr einer neuerlichenSeuche abwehren, wie sie hundert Jahre zuvor in Form der Pest über die Stadt gekommen war. Heute wird dieser Hafen PortFrioul genannt.Wie vorhergesehen waren wir zunächst ganz allein unterwegs. Wir wanderten den Hauptweg entlang, vorbei an der hiesigen teilseinzigartigen unberührten Vegetation. Sie ähnelt der im Hochgebirge oberhalb der Baumgrenze. Auf der Insel gibt es einengeologisch interessanten Earthcache "Frioul, de toute beauté!" (GC4X34A). Durch diesen lernten wir, dass die Bildung derBuchten (Calanques) in drei Stufen erfolgte: vor 250 Mio. Jahren sammelte sich Kalkstein an, vor 30 Mio. Jahren wurdentektonische Platten angehoben, die dann stark erodierten und jüngere Erdverschiebungen (6-10 Mio. Jahre alt) gestalteten dieLandschaft so wie wir sie heute sehen können. Die Natur hat sich zudem originelle Strategien einfallen lassen und Pflanzenhervorgebracht, die sich perfekt an das trockene Mikroklima angepasst haben. Zudem wird die Landschaft durch dieschöpferische Kraft des ständig wehenden Mistrals geformt. Neben dem Earthcache nahmen wir auchdie hiesige Letterbox "MARSEILLE 111 Quartiers. Les Iles" (GC4TYVM) mit. Um zum Tradi "FRIOUL2: Calanque de la Crine..." (GC12XMM) zu gelangen, verließen wir den Hauptweg und wanderten aufeinem (offiziellen) Pfad weiter. An der im Geocache beschriebenen Bucht wurde der Pfad ziemlichabenteuerlich, aber wir schafften die Passage ohne nasse Füße. Ja, manchmal helfen die in derSchule erlernten Lektionen "Wie orientiere ich mich im Gelände" eben doch noch weiter. Wieder obenam Hauptweg angekommen, begegneten uns die ersten Touristen- und Kindergruppen - Alles richtiggemacht. Auf dem Rückweg zum Damm passierten wir eine Fischzuchtstation für Wolfsbarsche undDoraden. Diese wurde als erste auf der Welt als Bio-Zuchtstation anerkannt.Über den Damm erreichten wir wieder die Insel Ratonneau. Im 1974 erbauten Dorf Port Frioul leben ca. 100 Einwohner. Es gibthier keine öffentlichen Einrichtungen wie Schulen oder Ärzte. Dadurch sind die Menschen gezwungen, stets mit der Fähre aufsFestland zu fahren. Daher werden sie bei der Beförderung auch bevorzugt behandelt. Das Dorf wartet lediglich mit einigenRestaurants und einem Yachthafen mit 700 Liegeplätzen auf. Die Lust unseres Teenagers zur Erkundung dieser Insel lag beinahezu Null. Obwohl man hier sehr schön wandern kann, marschierten wir nur die öde Straße entlang. Vorbei einem Lost Place,vermutlich aus dem militärischem Bereich. Ich wollte eigentlich zur Calanque de Saint Estève. Im Prospekt las ich etwas übereinen Unterwassertunnel, wo man die Mittelmeerwasserwelt erkunden könne. Offenbar ist dieser aber nur für Taucher, denn wirentdeckten nichts was darauf hinwies, dass hier jemand ohne Neoprenanzug einen solchen Tunnel erkunden könne. Außerdemdrängte unser Teenager auf Rückkehr. Sonst wären wir noch zum Hôpital Caroline gelaufen. Das nach Maria Karoline von Neapel-Sizilien, der Ehefrau des Duc de Berry benannte Hôpital Caroline wurde nach fünfjähriger Bauzeit 1828 eröffnet. DiesesKrankenhaus sollte eine vorbildliche sanitäre Einrichtung mit einem für die damalige Zeit geradezu radikalen Hygiene-Niveauwerden, das alle Infektionsgefahren abwehren und deshalb auch einer einem Gefängnis ähnelnden Ordnung unterliegen sollte.Vor allem an Gelbfieber Erkrankte wurden hier gepflegt. Die Lage war insofern ideal, als Pomègues und Ratonneau vor Marseilleliegen und das benachbarte Château d'If ohnehin Gefängnis war.So nahmen wir die Fähre um 12:30 Uhr zurück aufs Festland. Da diese nun rechts an If vorbeifuhr,haben wir diese Insel quasi einmal umrundet. Bis ins 16. Jahrhundert blieb die Insel If von Menschenso gut wie unberührt. Lediglich die Fischer gingen hier gelegentlich vor Anker. Erst 1516 erkannteFranz I. bei einem Besuch von Marseille die strategische Bedeutung der Insel und ordnete den Baueiner Wehranlage an. 1531 wurden die Arbeiten abgeschlossen. Das Château wird von drei Türmenflankiert und ein Bergfried sicherte nun die Bucht von Marseille. Das Fort wird jedoch schon bald zumGefängnis umfunktioniert, in dem Missetäter, Schurken und widerspenstige Galeerensträflinge mehroder weniger lange verschwanden. Ab dem 17. Jahrhundert wurden dort massenweise Protestantenin den Kerker geworfen, wo viele von ihnen starben. Hochgestellten Persönlichkeiten bot dasGefängnis jedoch völlig akzeptable Lebensbedingungen. Der berühmteste Gefangene warzweifelsohne José Custodio Faria, den Alexandre Dumas mit seinem Roman "Der Graf von Monte-Cristo" unsterblich gemacht hat.Das Gefängnis verlor nach der Inhaftierung der Aufständischen im Jahr 1848 und der Anhänger der Pariser Kommune im Jahr1871 an Bedeutung und wurde 1890 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Heute kann man vom Alten Hafen in Marseille in 15min via Fähre auf die Insel If gelangen und sich das dortige Museum ansehen.Kurz nach 13 Uhr waren wir zurück in der Ferienwohnung. Am Nachmittag überquerte ein Regengebiet Marseille. Alles richtiggemacht. Nach drei Tagen Touren ist jetzt erst einmal Erholung angesagt. Morgen gibt es nur eine kleine Tour.