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Über Baden lacht die Schwarze Sonne.
Es war das Jahrhundertereignis schlechthin, vor allem, weil es für viele die einzige totale
Sonnenfinsternis im ganzen Leben sein würde. Tage- ja sogar wochenlang vorher wurde
davon berichtet und Wetterprognosen für Mittwoch, den 11. August 1999, aufgestellt. Eine
Woche vor dem Ereignis hatten wir das herrlichste Sommerwetter.
Bertram und ich waren am 10. August mit dem Zug von Dresden nach Karlsruhe gefahren, um
das Naturereignis nicht zu verpassen, denn in Dresden würde es nur eine partielle Sonnen-
finsternis geben, da die Stadt außerhalb des 100 km breiten Kernschattens liegt – Karlsruhe
dagegen mittendrin.
Und nun – am Tag des Ereignisses – sah es sehr nach Regen aus: dicke Schlechtwetterwolken
hatten sich aufgetürmt; nur ab und zu zeigte sich eine Wolkenlücke. Wir fuhren mit unseren
Freunden Michael, Annette und deren Kindern auf die Salmenwiesen, die Felder hinter der
Langen Straße. Dort hatten sich viele Schaulustige angesammelt: Karlsruher, Darmstädter,
Wiesbadener, Genfer... und ein Auto mit vier jungen Italienern, die extra wegen der Finsternis
nach Deutschland gekommen waren.
Michael baute sein großes Teleskop und einen Fotoapparat auf, Bertram und ich Video und Foto.
Die notwendigen Spezial-Sonnenfilter bauten wir uns ein paar Tage vorher selbst aus Baader-
Sonnenfilterfolie. Die Sonnenschutzbrillen waren letztendlich bei Optikern und anderswo
ausverkauft.
Um 11.12’12’’ Uhr war es soweit, der Kontakt zwischen Mond und Sonne hatte begonnen und der
Mond einen Teil des leuchtenden Sonnenballes weggefressen. Innerhalb der nächsten eineinhalb
Stunden schob er sich immer weiter vor die Sonne. Teilweise verdeckten dicke Wolken das
Schauspiel. Über dem Schwarzwald stauten sich die Regenwolken und wir befürchteten, dass im
entscheidenden Moment nichts zu erkennen ist. Doch Michael war optimistisch und hatte ein
"sonniges" Gefühl, das ihn auch nicht im Stich ließ. Einige Minuten bevor der Kernschatten über
uns sein würde, wurde es kälter und die Dämmerung brach langsam herein. Wenige Sekunden
vor der Totalität verfinsterte es sich schlagartig (als würde es im Zeitraffer Nacht werden), die
Vögel hörten auf zu singen, es wurde windstill und die Landschaft sah gespenstisch aus: ähnlich
einer Vollmondnacht, aber auch wieder nicht – irgendwie anders, aber schön. Wenn man es nicht
selbst erlebt hat, kann man es sich wahrscheinlich auch nicht vorstellen. Da die Temperatur um
einige Grad sank, rissen die Wolken etwas mehr auf und wir konnten das Ereignis über 2
Minuten und 8 Sekunden von genau 12.31’39’’ Uhr bis 12.33’47’’ Uhr wunderbar ohne Störungen
verfolgen. Das letzte Sonnenlicht bildete einen dunkelroten Rand um den Mond. Durch dessen
Unebenheiten waren die Protuberanzen als hellrote Flecken deutlich zu sehen. Als eine kleine
Wolkenlücke den ungetrübten Blick auf die Schwarze Sonne freigab, entfaltete sich die Korona
zu einem herrlichen wehenden Kranz um den Mond. Die Stimmung war einfach wunderbar: die
Menschen jubelten und irgendwo in Rüppurr gab es sogar ein Feuerwerk. Als der Mond die
Sonne wieder freigab – und die Welt nicht untergegangen war -, wurde es sehr schnell wieder
hell, so als würde jemand einen überdimensional großen Vorhang aufziehen. Die Temperatur
nahm rasch zu und bald war auch die Natur wieder im normalen Rhythmus. Wir verfolgten nun
den Abzug des Mondes, was wieder eineinhalb Stunden dauern sollte. Leider zog der Himmel
jetzt so zu, dass wir lediglich eine halbe Stunde davon genießen konnten. Ab und zu schauten
wir durch Michaels Teleskop, das Sonne und Mond seitenverkehrt darstellte. Hier konnten wir die
Sonnenflecken deutlich sehen. Ich hielt sie im ersten Moment für Staubkörner oder Dreckfusseln
auf der Linse. Und als Michael mir noch sagte, dass dieser Sonnenfleck, die Dreckfussel, die
Größe der Erde hat, konnte ich mir nur langsam ausmalen, wie gigantisch groß die Sonne
eigentlich ist. Ich denke, das übersteigt fast die Vorstellungskraft eines normalen Menschen.
Als eine dicke Regenwolke auf uns zukam und uns klar wurde, dass es keine Aussicht auf ein
freies Himmelsplätzchen mehr gab, packten wir unsere Ausrüstungen zusammen und kamen
gerade rechtzeitig vor dem Regen nach Hause.
Später erfuhren wir, dass nur Karlsruhe, Baden-Baden, der Kraichgau und der Chiemgau in den
Genuss des Jahrhundertereignisses kamen. Die selbsternannte „Sonnenhauptstadt" Stuttgart,
München und das Saarland lagen unter dicken Regenwolken und konnten die Sonnenfinsternis
lediglich über Monitore verfolgen.
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Auf Beobachtungsposten
ca. 12.15 Uhr:
Kurz vor dem Eintritt
ca. 12.32 Uhr:
Während der Totalität
ca. 12.40 Uhr:
Kurz nach dem Austritt